5

Rezensionen ...

... zur Produktion
Louis Vierne:
Symphonien für Orgel

Hans-Dieter Meyer-Moortgat (Orgel)

Ein Kunde (Februar 2010)
  Von Ihrer Firma habe ich die drei CDs: die Vierne-Orgelsymphonien, die 12 Konzertetüden von Liapunov und die Orgelwerke von Percy Whitlock. Alle drei CDs liegen sowohl vom aufnahmetechnischen, von der Werkauswahl und vom Können der Interpreten weit über dem Durchschnitt. [...]
Noch eine Anmerkung zu den Vierne-Symphonien: Bisher war ich nie so richtig zufrieden mit den vorliegenden Aufnahmen. [...] Aber die Aufnahme Ihres Labels ist insofern spitze, da Herr Meyer-Moortgat mit den enormen Schwierigkeiten fertig wird. Die Akustik in Bad Gandersheim kann man nur als optimal bezeichnen, und die Wahl der Mühleisen-Orgel war genau richtig. Als ehemaliger Orgenbauer höre ich sehr genau hin, deshalb muß ich auch lobend erwähnen, daß die Orgel für diese Vierne-CD sehr gut gestimmt wurde.[...]
Machen Sie weiter mit Ihren hervorragenden CDs!
Franz Goedecke, Orgelbauer, München
 
FONO FORUM (Juni 2010, S. 77)
  Nicht an einem Tag erbaut

Die Faszinationskraft der französischen Orgelsinfonik ist ungebrochen – die Aufnahmefreude einer nachdrängenden Organisten-Generation ebenfalls. Und wer sich fragen mag, was es über Widor und Vierne denn noch zu sagen gibt, dem ist zu antworten: allerhand.

[...]

Kein Wunsch bleibt offen in der Gesamtaufnahme von Viernes sechs Sinfonien durch Hans-Dieter Meyer-Moortgat an der Mühleisen-Orgel der Stiftskirche Bad Gandersheim. Meyer-Moortgat findet durchweg eine perfekte Balance zwischen sinfonischem Rhythmus und poetischer Freiheit, und die eher mittelgroße Orgel macht in der Aufnahme großen Eindruck. Der mittlerweile klassischen, bisher unerreichten Aufnahme Ben van Oostens aus den 1980er Jahren stellt Meyer-Moortgat eine konkurrierende, etwas subjektivere an die Seite – in jedem Fall eine künstlerisch ebenbürtige.

Friedrich Sprondel
 
Codex Flores (20. 06. 2009)
(Onlinemagazin für alle Bereiche der klassischen Musik)
  Louis Viernes sechs Orgelsinfonien

Es gibt Menschen mit einer schon fast exemplarisch unspektakulären beruflichen Karriere. Louis Vierne gehört zu ihnen. Seine Lebensstationen sind schnell aufgezählt: 1870 geboren, Kindheit in Paris, Studium am Pariser Konservatorium, Lehrer am Pariser Konservatorium, Titularorganist der Kathedrale Notre-Dame in Paris, Orgelprofessor am Pariser Konservatorium, Orgelprofessor an der Pariser Schola Cantorum. Sogar der Tod – er ereilt ihn 1937 während des Spiels an seiner Orgel in der Kathedrale – fügt sich in dieses Beamten- und Organistenleben. Einen schon fast absurden Anstrich erhält es dadurch, dass ihn seine Frau mit einem bedeutenden Orgelbauer, seinem Freund Charles Mutin (dem er seine zweite Orgelsinfonie gewidmet hat) betrügt, worauf die Ehe, nein, natürlich nicht bloss geschieden, sondern von der katholischen Kirche annuliert wird, damit alles seine bürokratische Richtigkeit hat.

Dieses Curriculum vitae ist allerdings bloss die halbe Wahrheit, denn Viernes Leben ist voller Schicksalsschläge, die man nicht Revue passieren lassen kann, ohne davon berührt zu werden: Als Kind erblindet er fast vollständig (eine riskante Operation verhilft ihm immerhin zu rudimentärer Sehkraft). Mit 36 Jahren verliert er wegen eines Unfalls beinahe ein Bein und muss sein Pedalspiel gänzlich neu erlernen, sein Sohn André erliegt einer Tuberkulose, später trübt der Grüne Star seine Sehkraft noch stärker, und auch seine spätere Freundin Jeanne Montjovet verlässt ihn nach einer fünf Jahre dauernden Beziehung. Sein Bruder stirbt im Ersten Weltkrieg im Kampf, ebenso sein zweiter Sohn Jacques. Eine erneute Augenoperation scheitert. Daneben muss er vor und während der Jahre des Krieges immer wieder damit leben, dass sich „seine“ Notre-Dame-Orgel in einem erbärmlichen Zustand befindet.

Vierne soll, so Zeitzeugen, ein überaus liebenswürdiger, übersensibler und grundgütiger Mensch gewesen sein. Die wilde Seite seiner Persönlichkeit findet sich vor allem in seinem Orgelwerk, und das hat es nun wirklich in sich: In den Sinfonien türmen sich dräuende, vibrierende, teils gespenstische Klangwelten auf. Sie schaffen aus fasslichen, meist kurzen Motiv-Kacheln komplexe, chromatisch verwischte Texturen. Die „Introduction“ zur sechsten Sinfonie etwa, vom Meer inspiriert, scheint die spätromantischen Tableaus wild bewegter Seelandschaften in der Art eines Gustave Courbet zu evozieren, das Spiel mit der Vox Humana in der Pastorale der ersten Sinfonie gerät zum fahlen Totentanz.

Diese dichten, von einer inneren Unruhe vorangetriebenen Tonsätze verlangen nach einer überaus präzisen, Viernes Phrasierungs- und Dynamikangaben getreu respektierenden Wiedergabe und nach einem exzellenten Instrument. Für beides ist in der Einspielung für das Label Sicus Klassik gesorgt. Dem Braunschweiger Organisten Hans-Dieter Meyer-Moortgat steht mit der Orgel der Stiftskirche von Bad Gandersheim ein während der Aufnahme im Oktober 2007 erst sieben Jahre altes Instrument aus der elsässischen Manufaktur Mühleisen zur Verfügung, über deren Registerausstattung das Booklet detailliert Auskunft gibt.

Bemerkenswert ist auch die technische Realisierung dieser Gesamtaufnahme der Vierne-Orgelsinfonien. Die hohen Ansprüche, welche die differenzierte Klanglichkeit der impressionistischen Orgel stellt, verlangt nach einem speziell geschulten Ohr. Dass beim Mastering mit Thomas Sandmann ein sowohl in Sachen Klassik versierter als auch an der Entstehung der deutschen Techno-Bewegung maßgeblich beteiligter Frequenz- und Klanghüllentüftler zum Zug gekommen ist, scheint da durchaus passend.

Wolfgang Böhler


· [Zurück] · [Start] ·